Ich werde sehr häufig gefragt, warum ich nicht mehr fliegen werde.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Es geht im Grunde genommen nur um den persönlichen Preis, den man für die Ausübung dieses Berufes zahlen muss, und genau diesen Preis möchte ich nie wieder zahlen.
Natürlich gehen die meisten Menschen davon aus, dass der Beruf „Pilot“ ein Traumberuf ist und ich weiß, dass viele meiner ehemaligen Kollegen das auch sagen – oder sich selber in die Tasche lügen, dass dem so ist. Es macht natürlich viel Spaß, ein Verkehrsflugzeug zu bewegen und wenn man in Uniform durch ein Flughafen-Terminal läuft ist das nicht gerade schlecht für das Selbstbewusstsein.
Aber zu welchem Preis habe ich das getan?
Die Ausbildung ist irre teuer und diese Kosten muss man in der Regel selber tragen.
Man darf nur bis zum 65. Lebensjahr kommerziell fliegen. Die zwei Jahre bis zum 67. Lebensjahr sind dann „Privatvergnügen“. Eine ausreichende Betriebsrente für die Lücke gab / gibt es nur bei sehr seriösen Airlines.
Jedes Jahr, mit zunehmendem Alter dann alle sechs Monate geht es zum Fliegerarzt. Wenn der etwas findet (Herz / Organe / Krebs / Diabetes / etc.) war es das mit dem Pilotenleben.
Jedes Mal, wenn man beim Heimwerken ist, bewegt man sich auf sehr dünnem Eis, denn ein kleiner Metallspan von der Bohrmaschine oder vom Trennschleifer, der in die Augen gerät, bedeutet das sichere Ende der derzeitigen Erwerbstätigkeit.
Über sehr vielen,- Corona hat es gezeigt,- über fast allen Airlines schwebt das Damoklesschwert der Insolvenz. Airline pleite = neuer Job muss her.
Tritt man einen neuen Job an, beginnt die sogenannte „Senioriät“, die Firmenzugehörigkeit, von vorne. So steht man dann bei der Urlaubsvergabe / bei der Genehmigung der beantragen freien Tage, wieder ganz hinten an.
Die wenigsten Airlines übernehmen neues Personal „auf der linken Seite“. Wenn man also als Kapitän auf der Straße landet, kann es gut sein, dass man wieder Jahre benötigt, um vom rechten auf den linken Sitz im Cockpit zu rutschen.
Wenn man nur 2-3 Flüge am Tag auf dem Dienstplan stehen hatte, ist es möglich, dass nach der letzten Landung auf einmal jemand anruft und sagt, dass man noch weiter fliegen muss. Private Termine an Tagen, wo man Flugdienst hat, sind sehr häufig zum Scheitern verurteilt.
Man bekommt die meisten freien Tage „einfach so“ zugeteilt. Man kann nur eine bestimmte Anzahl freier Tage im Vorfeld beantragen. (Bei mir waren das zwischen 3-4 Tagen pro Monat.) An allen anderen Tagen muss man immer davon ausgehen, dass man fliegen muss, auch wenn in einem Tag zuerst „frei“ im Dienstplan stand. Nur die Tage, die man beantragt und bewilligt bekommen hat, sind „safe“.
Urlaubsvergabe. Jahresurlaub wie in der Lotterie. Je länger man in der Firma ist, desto sicherer ist es, aber fest buchen kann man seinen Jahresurlaub erst im ersten Quartal des laufenden Jahres.
Es gibt keine Wochentage mehr. Egal, ob Feiertag oder Wochenende,- die Menschen wollen geflogen werden. Das ist prima für private Termine und den Freundeskreis.
Ich habe Flugdienst nie als stressig empfunden. „Nervig“ würde es schon eher beschreiben. Natürlich ist man bemüht, immer pünktlich zu fliegen – und ja, es gibt Tage, wo es halt große Verspätungen gibt wegen Wetter / Fluglotsenstreiks. Aber, an allen andere Tagen könnte eigentlich immer alles pünktlich ablaufen. Nur leider darf in der Luftfahrt alles nichts mehr kosten und getreu dem Motto „pay peanuts, get monkeys“, findet man IMMER jemanden, der einem den Tag versaut. Beispiel gefällig?
Du startest morgens pünktlich, kommt überpünktlich am Zielort an, wartest dort aber 10 Minuten auf jemanden, der die Brücke an das Flugzeug fährt und der Tankwagen kommt auch 20 Minuten zu spät. Durch diese Verzögerung verpasst Du dein Abflug-Zeitfenster („Slot“) um ein paar Minuten. Als Ergebnis trittst Du den zweiten Flug mit 10 Minuten Verspätung an. Unterwegs trittst Du mit der Flugsicherung in Verhandlungen, erwirkst ein paar schöne Abkürzungen und fliegst schneller, als es für den Flug vorgesehen war. Du landest mit nur 2 Minuten Verzögerung, hast den Tag also (vorerst) gerettet. Kaum an der Parkposition angekommen stellst Du fest, dass weit und breit keine Busse zu sehen sind, die deine Passagier zum Terminal bringen könnten. Das De-Boarding verzögert sich also um 15 Minuten. Dann fehlt die Ladegruppe, um das Gepäck für den 3. Flug zu verladen. Somit trittst Du auch diesen Flug mit ca. 15-20 Minuten Verspätung an, die Du unterwegs wieder halbwegs herausfliegen kannst.
Es ist ein ständiger Wechsel von „wir geben unser Bestes, um die Verspätung aufzuholen“ und „welcher Depp wird uns in der nächsten Bodenzeit wieder mit einer Verspätung versorgen“. Ich fand das immer furchtbar nervig. Wichtig: "Der Depp" ist hier in den allermeisten Fällen der Management-Wasserkopf, der seinen Mitarbeitern durch Sparmaßnahmen gar nicht ermöglicht, "gut" (= sicher und schnell) arbeiten zu können.
Wegen mir, oder besser gesagt, wegen mir und meiner Crew ist in den ganzen Jahren keine einzige Minute Verspätung entstanden. Wir waren immer bereit und ready to go. Es waren immer „die Anderen“, die einem den Tag versaut haben.
Totschlag-Argument „Aber die Sicht ist doch soooo schön!“ – Ja, das ist sie. Der erste Sonnenaufgang im Steigflug, der erste Sonnenuntergang im Reiseflug, der Flug über die Alpen bei kristallklarer Luft, der Sternenhimmel in der Nacht aus 11 km Höhe betrachtet in völliger Dunkelheit und ohne störende Atmosphäre, das ist wirklich schön!! Auch beim zweiten Mal. Auch beim dritten Mal. Nach einigen Jahren war das für mich zwar auch noch „schön anzusehen“, aber man analysiere bitte die Satzteile „bei Sonnenaufgang“ und „bei Sonnenuntergang“. Will man da schon / noch arbeiten!? Um dann ggf. nach dem Flugdienst in einer Stadt zu sein, die hunderte / tausende Kilometer von Frau, Kinder und Hund entfernt liegt.
Das alles war mir nach 5-6 Jahren ein zu hoher Preis. Ich hatte mich „satt“ geflogen. Die Maschinen habe ich beherrscht. Es war toll, als Kapitän verantwortlich dafür zu sein und mit der Crew zusammen zu arbeiten. Es war eine super Erfahrung, als technischer Pilot und Flottenchef die „Managementseite“ kennen zu lernen. Es hat unglaublich viel Spaß gemacht, Kollegen als Ausbilder zu trainieren bzw. zu überprüfen. Aber auch beim Thema „Ausbildung“ war der Preis hoch,- ich verbrachte sehr, sehr (sehr!!) viele Tage und Nächte in Wien, da dort unser Simulator war. Frau, Kinder und Hund leben nicht in Wien.
Ich sehnte mich also bereits seit Jahren nach einer Alternative außerhalb der Fliegerei. Da ich den schweren Fehler gemacht habe, nicht erst einen vernünftigen Beruf zu erlernen oder vorher ein Studium zu absolvieren, fand ich diese Alternative nicht, denn, auf Geld wollte ich auch nicht verzichten.
Ich will hier offen schreiben, so dass wir auch kurz über Zahlen reden können. Das Gehalt, das ich als Kapitän bekommen habe, war gigantisch. Es findet sich nicht so einfach eine „ungelernte / unstudierte Alternative“, die ein Bruttogehalt von ca. 130.000-140.000 EUR (es gibt Airlines, die noch wesentlich mehr zahlen) im Jahr einbringt. So war ich gefangen in meinem goldenen Käfig.
Dann kam die Corona Pandemie. Mein Arbeitgeber hat die Firma durch Corona getarnt vorsätzlich an die Wand gefahren, ich wurde arbeitslos und wurde nun gezwungen, eine Alternative zu finden, da nicht klar war, wie lange diese Flaute andauern würde. Mit dem auf die Bemessensgrenze gedeckelten Arbeitslosengeld war der goldene Käfig nun offen, ich bin da rausgefallen und der Käfig versank in den Fluten. ;)
Um nicht in Hartz IV abzugleiten, begann ich eine Ausbildung zum Fahrlehrer. Kurz vor Abschluss der Ausbildung bekam ich das Angebot, eine Stelle bei der Bezirksregierung in Düsseldorf anzutreten.
Und da bin ich nun, habe Gleitzeit, knapp 8 Stunden Soll pro Arbeitstag. Wochenende und Feiertage frei. Eine großzügige Homeoffice-Regelung, die es mir ermöglicht, mich auch um meine Kinder kümmern zu können. Wenn ich mal „nicht kann“, geht die Welt nicht unter. Die Stunden kann ich an einem anderen Tag nachholen. Mein Jahresurlaub 2025, 2026, etc. muss ich nur mit wenigen Menschen absprechen. Im Grunde genommen kann ich JETZT schon die Ferienwohnung für den nächsten Sommer buchen. Ich muss nicht bis nächsten März / April warten.
Ja korrekt, Sonnenuntergänge / Sonnenaufgänge / Alpenpanorama sehe ich von meinem Büro oder meinem Schreibtisch zu Hause nicht. Aber ich bin FREI. Ich kann private Termine oder Arzttermin zusagen und weiß, dass diese auch stattfinden können.
Die fachliche Tätigkeit macht mir viel Spaß. Ich genehmige Hindernisse (Krane, Bauwerke, …) in der Nähe von Flugplätzen und bearbeite den Genehmigungsprozess von Windkraftanlagen, weiterhin bin ich EASA Aerodrome Inspector für den Flughafen Niederrhein. Dort kann ich dann bei Bedarf auch wieder verbranntes Kerosin schnuppern und Flugzeuge sehen.
Die Kollegen, die da aber im Cockpit sitzen, beneide ich jedoch überhaupt nicht,- bis auf deren Kontoauszüge, denn aus 130 kEUR wurden etwa 56 kEUR. Aber die sind mir sicher. Auch, wenn wieder eine Pandemie kommt, oder wenn ich mir unglücklich irgendwelche Knochen breche. Ich habe (für mich gefühlt) die maximale Kontrolle über meine Zeit. Das ist (mir) mehr Wert, als alles, was diesen Beruf vermeidlich zu einem Traumberuf macht.
Würde ich es nochmal tun? Nein. Nicht, ohne vorher ein festes Standbein außerhalb eines Cockpits aufzubauen.